image of Interview zur Neuerscheinung: Lehrbuch 'Religionsökonomie' wird im September in Bayreuth zur Diskussion gestellt

Interview zur Neuerscheinung: Lehrbuch 'Religionsökonomie' wird im September in Bayreuth zur Diskussion gestellt

Vor kurzem ist im utb-Verlag das Lehrbuch Religionsökonomie von Maren Freudenberg und Kianoosh Rezania erschienen.
Maren Freudenberg ist Religionssoziologin mit Fokus auf dem zeitgenössischen amerikanischen Christentum und akademische Rätin am CERES, Kianoosh Rezania ist Altiranist und hat die Professur für Westasiatische Religionsgeschichte am CERES inne. 
Wir haben beide zu ihrem Lehrbuch und generell zum Forschungsbereich Religion und Wirtschaft am CERES befragt.

Kommen wir zur ersten und wohl wichtigsten Frage: Was hat Religion überhaupt mit Ökonomie zu tun?

Ziemlich viel! Religiöse Organisationen wie Kirchen müssen sich als wirtschaftliche Akteure finanzieren und sind auch oft Arbeitgeber, verwalten Immobilien, produzieren Produkte und vieles mehr. Manche Religionen vermarkten sich aktiv, indem Sie Produkte und Ideen branden und verkaufen, sich also als Marke präsentieren. Umgekehrt beeinflusst Religion die Wirtschaft auch: Religiöse Normen und Ethiken schreiben z.B. vor, wie Anhänger*innen einer Religion wirtschaftlich handeln sollen – man denke an das islamische Zinsverbot oder das  im Christentum mittlerweile weit verbreitete Wohlstandsevangelium.

Im Lehrbuch nehmen wir die vielen und vielschichtigen Zusammenhänge zwischen Religion und Wirtschaft als zwei eigenständige gesellschaftliche Teilbereiche in den Blick. Das bedeutet einerseits auf der Objektebene zu schauen, wie Religion und Wirtschaft sich gegenseitig beeinflussen; und andererseits auf der Metaebene zu zeigen, wie die beiden wissenschaftlichen Disziplinen Religionswissenschaft und Wirtschaftswissenschaft diese Zusammenhänge untersuchen.


An wen richtet sich das Lehrbuch?

Wir haben das Buch für Studierende und Dozierende sowohl der Religionswissenschaft als auch der Wirtschaftswissenschaften geschrieben, um gegenseitiges Interesse zu wecken, bestehende Forschung zusammenzufassen und zukünftige Perspektive aufzumachen. Religionswissenschaftler*innen und Wirtschaftswissenschaftler*innen haben bis jetzt wenige Berührungspunkte – obwohl sehr viel Forschungspotential besteht, die Zusammenhänge zwischen Religion und Wirtschaft aus interdisziplinärer Perspektive zu untersuchen. Deswegen haben wir im Buch jeweils ein einleitendes Kapitel zur Religionswissenschaft und zur Mikroökonomie geschrieben, damit Neulinge sich einen allgemeinen Eindruck des Themenbereichs und der Arbeitsweisen dieser Disziplinen verschaffen können.


Welche Schwerpunkte legt das Lehrbuch?

Wir vertiefen insbesondere vier Bereiche: Die Wirtschaftsethiken verschiedener religiöser Traditionen und ihre Auswirkungen auf verschiedenen Gesellschaftsebenen; die Finanzierung und Vermarktung von Religion; die Modellierung von Religion, insbesondere das Marktmodell, das Religion unter wirtschaftswissenschaftlichen Prämissen untersucht; und neuere Ansätze wie die Verhaltensökonomie und die Neue Institutionsökonomik.


Wie lange habt ihr daran gearbeitet?

Der Verlag ist im Spätsommer 2020 an uns herangetreten. Wir haben zuerst an Konzept und Gliederung gearbeitet und 2021 mit dem Verfassen der ersten Kapitel begonnen. 2022 war ein intensives Schreibjahr am Lehrbuch, da wir es neben anderen laufenden Projekten, Lehrverpflichtungen, usw. geschrieben haben.


Gibt es Experten aus den Wirtschaftswissenschaften, die an dem Lehrbuch mitgewirkt haben?

Prof. Dr. Julio R. Robledo, unser Kollege aus den Wirtschaftswissenschaften an der RUB, hat uns beim Einführungskapitel in die Mikroökonomie tatkräftig unterstützt, wofür wir ihm sehr dankbar sind.


Welche Rolle spielt die Religionsökonomie in Forschung und Lehre am CERES?

Wir interessieren uns aus verschiedenen Perspektiven für die Religionsökonomie und haben dieses Interesse seit einigen Jahren in unterschiedlichen Formaten umgesetzt. 2018 haben wir gemeinsamen ein Seminar „Einführung in die Religionsökonomie“ entwickelt, das vor allem theoretische Grundlagen abdeckte – von der Haushaltsökonomie über Rational Choice und dem Marktmodell bis hin zu Ansätzen, die Religion im Neoliberalismus untersuchen.

Parallel dazu haben wir mit weiteren Kollegen am CERES und am Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte an der Humboldt-Universität zu Berlin einen Arbeitskreis Religion und Wirtschaft ins Leben gerufen, der seitdem jährlich zu verschiedenen Schwerpunkten einen interdisziplinären Workshop ausgerichtet hat. Hier ist immer auch Raum, eigene Interessen zu thematisieren, laufende Projekte zu besprechen und neue Ideen zu entwickeln.

 In den vergangenen beiden Semestern haben wir ein vertiefendes zweiteiliges Seminar zur Religionsökonomie unterrichtet, das nicht nur eine theoretische Einführung war, sondern auch ein Lehrforschungsseminar: Studierende haben ihre eigenen Erhebungen zu Investitionen in Religion in verschiedenen religiösen Traditionen durchgeführt. Das hat sehr gut geklappt und uns abermals das Potential vor Augen geführt, dass das Feld birgt.


Und wie geht es in dem Bereich nun weiter?

Wir sind gespannt, wie das Lehrbuch aufgenommen wird. Da die Religionsökonomie in der deutschsprachigen Religionswissenschaft eher ein vernachlässigter Bereich ist, hoffen wir, den Diskurs und natürlich auch die Forschung anzuregen. Wir werden das Lehrbuch auf der Tagung der Deutschen Vereinigung für Religionswissenschaft im September in Bayreuth im „Author Meets Critics“-Format zur Diskussion stellen, um kritisches Feedback zu erhalten.

Vielen Dank für das Interview!