Religion und Medien
Knapp 70.000 Besucher*innen hatten die Gottesdienste ausgewählter evangelischer Landeskirchen vor Corona. Knapp 200.000 Klicks haben die digitalen Gottesdienste der gleichen Gemeinden zu Beginn der Corona-Pandemie generiert – und damit eine Teilnahmesteigerung von beinahe 300% (vgl. Hörsch, Midi-Studie 2020) hingelegt. Diese Gegenüberstellung zeigt einerseits die Potentiale neuer Medien im Feld der religiösen Kommunikation auf – auf einmal verschwinden territoriale Grenzen, wird die Teilnahme an Veranstaltungen niedrigschwelliger, wird vielleicht Kreativität freigesetzt und neue Faszination generiert. Gleichzeitig ruft die Gegenüberstellung vielleicht auch kritische Rückfragen auf den Plan – zur Vergleichbarkeit der Daten, zu den Unterschieden der medialen Kontexte oder zur vermuteten Ausgestaltung und Bedeutung der Teilnahme für die Rezipient*innen.
Das Feld digitaler Medien, wie es am CERES bearbeitet wird, umfasst dabei aber nicht nur den Transfer hergebrachter Formate in eine neue mediale Form. Es beinhaltet auch etwa den Auftritt neuer religiöser Influencer*innen, die hergebrachte Konzepte religiöser Autorität hinterfragen lassen, neue Formen digitaler Vergemeinschaftung in Messenger-Gruppen oder spiritueller Apps, die den Blick auf den Wandel religiöser Sozialformen und Praktiken richten.
Dabei sind Medien natürlich kein Spezifikum der Gegenwart. Die mediale Vermittlung religiöser Inhalte und Vorstellungen oder der besondere Einsatz von Medien in Konstellationen von etwa Mission oder Diaspora sind verbreitete Phänomene der Religionsgeschichte. Dabei haben gleichermaßen religiöse Institutionen Medienentwicklung vorangetrieben wie auch Medien Wendepunkte im Feld religiöser Traditionen (mit-)verursacht. Das macht es für uns am CERES umso spannender, den Blick auf die Transformation des Verhältnisses von Religion und Medien zu richten und nach Kontinuitäten und Brüchen in der Religions- und Mediengeschichte zu fragen.
Schließlich bringt eine systematisch-religionswissenschaftliche Perspektive mit sich, das Feld von Religion in den Medien eben nicht nur als Phänomen sui generis zu betrachten. Vielmehr ist das mediale Feld einerseits nahtlos eingewoben in das Alltagshandeln und die Lebenspraxis seiner Nutzer*innen. Andererseits werden dort, medial manifestiert, auch häufig einfach größere gesellschaftliche Trends besonders zugespitzt sichtbar, etwa von der Individualisierung religiöser Praxis oder der Entkonfessionalisierung religiöser Identität. Damit schließt die Beschäftigung mit diesem Feld an vielfältige andere Fragestellung aus den anderen systematischen und regionalen Schwerpunkt des CERES an.